Modellorganismen
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Tumorforschung an Fliegen
– Was bringt das?

Wenn man öffentlich erzählt, dass man mit Fruchtfliegen arbeitet und biomedizinische Forschung betreibt, wird man von oft belächelt oder erntet erstaunte Blicke. Dabei haben Wissenschaftler viele Gene und/oder ihre Funktion zuerst in Fruchtfliegen (lateinisch Drosophila melanogaster –  wörtlich „die tauliebende Schwarzbäuchige“) beschrieben. So auch Gene, die bei der Tumorentwicklung eine Rolle spielen.

Wie entstehen Tumoren?

Ja, richtig gelesen, es heißt „Tumoren“, zumindest wenn man ganz korrekt sein möchte. Umgangssprachlich hat sich „Tumore“ eingebürgert.

Wie sich normale Zellen zu Tumorzellen entwickeln ist komplex und wohl auch bei verschiedenen Tumoren unterschiedlich.

Die „Kennzeichen des Krebses“ (englisch „hallmarks of cancer“) von Hanahan und Weinberg beschreiben typische Veränderungen, die Tumore von gesundem Gewebe unterscheiden. Diese treten in unterschiedlichen Kombinationen auf. Einzelne Kennzeichen müssen also nicht für jeden Tumor zutreffen und sie müssen auch nicht in einer bestimmten Reihenfolge auftreten.

Hanahan und Weinberg beschrieben im Jahr 2000 zunächst sechs Kennzeichen der Tumorentwicklung:

  1. Zellen vermehren sich ohne äußeres Signal
  2. Zellen sind unempfänglich gegen wachstumshemmende Signale
  3. Zellen entgehen dem programmierten Zelltod
  4. Zellen dringen in andere Gewebe ein und bilden Metastasen
  5. Zellen werden „unsterblich“
  6. Anhaltendes Aderwachstum
 Acht Kennzeichen der Tumorentwicklung nach Hanahan und Weinberg

Acht Kennzeichen der Tumorentwicklung nach Hanahan und Weinberg. Creative Commons Lizenzvertrag
Kennzeichen der Tumorentwicklung von Christian Thiele ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.

Mit der Entschlüsselung des Genoms im Jahr 2001 und den sich immer weiter entwickelnden Methoden der molekularen Medizin kamen 2011 weitere Kennzeichen zu dem Konzept von Hanahan und Weinberg hinzu:

  1. Entgehen der Zerstörung durch das Immunsystem
  2. Der Energiehaushalt der Zellen verändert sich dramatisch

Außerdem wurde deutlich, dass allgemeine genomische Instabilität und Mutationen sowie Entzündungen in der Umgebung von Krebszellen eine Rolle in der Krebsentwicklung spielen.

Krebsentstehung folgt keinen festen Regeln

Die oben genannten Kennzeichen werden meist durch Mutationen verursacht, die in zwei Gruppen von Genen auftreten:

Tumorsupressorgene (Tumor-unterdrückende-Gene): Diese kontrollieren normalerweise den Zellzyklus und hemmen unkontrolliertes Wachstum oder sie sorgen für den programmierten Zelltod (Apoptose) von geschädigten Zellen. Werden sie durch z.B. durch Mutationen inaktiviert, kommt es zur ungeregelten Vermehrung der Zellen.

Onkogene (wörtlich Krebs-Gene): Darunter versteht man Gene, die Krebs auslösen können. Sie können durch Mutation aus Genen entstehen, die normalerweise das Zellwachstum kontrollieren oder aber durch Viren übertragen werden.

Diese Mutationen häufen sich im Laufe des Lebens an. Es gibt aber keine festen Regeln, wie ein Tumor entsteht, vielmehr unterlaufen die Tumorzellen einer eigenen Evolution. Evolution tritt dann auf, wenn Mutation und Selektion stattfinden.

Drosophila in der Tumorforschung

Krebs in Säugetieren wie uns entwickelt sich wohl meist über Jahre. Ansammlung von Mutationen bewirken nach und nach die bösartigen Veränderung. Da Drosophila (also Frucht- Essig- oder auch Taufliegen) nur eine kurze Lebensspanne haben, entwickeln sie normalerweise keinen Krebs. Trotzdem können einige der oben genannten Kennzeichen der Krebsentwicklung bei ihnen beobachtet werden, wenn Gene entsprechend mutiert sind.

Dazu greift man aus Sammlungen von mutierten Tieren und verschiedene gentechnische Werkzeuge zurück. Mit diesen gentechnischen Werkzeugen können gezielt einzelne Gene in Zellen ausgeschaltet werden, so dass veränderte Zellen von gesundem Gewebe umgeben sind. Man kann auch einzelne Gene gezielt überaktivieren oder herunterfahren und damit ihre Funktion und ihre Wechselwirkungen untersuchen.

Oft reicht schon die Mutation einzelner oder weniger Gene aus, um Zellen in Drosophila tumorartig wuchern zu lassen. Dadurch kann man einzelne Signalwege gezielt untersuchen.

Ich habe in meiner Doktorarbeit an dem Gen namens lkb1 geforscht, das gleich an mehreren Kennzeichen der Krebsentstehung beteiligt ist. So gibt es mehrere Studien, die eine Rolle beim Energiehaushalt der Zellen zeigen. Es soll aber je nach Zelltyp und Kontext unter anderem auch am programmierten Zelltod und der Zellvermehrung beteiligt zu sein. Bei Menschen sind Mutationen dieses Gens u.a. oft bei Lungenkrebs zu beobachten.

Konservierte Signalwege regulieren die Tumorentwicklung

Etwa 75% der krankheitsrelevanten Gene des Menschen haben eine Entsprechung im Fliegengenom. Wobei solche Prozentzahlen natürlich immer mit Vorsicht zu genießen sind, da sie Definitionen und veränderliches Wissen enthalten. Tatsächlich wurden aber viele am Zellzyklus und der Zellvermehrung beteiligten Gene in Drosophila zuerst beschrieben und/oder ihre Signalwege aufgedeckt.

Wissenschaftler haben 1985 das erste Tumorsupressorgen beschrieben und rückten Drosophila damit ins Zentrum der Krebsforschung. Es heißt „lethal (2) giant larvae“, also „tödliche Riesenlarven“. Der Name kommt daher, dass Tiere mit einer defekten Variante dieses Gens als große Larve vor der Verpuppung sterben.

Die Variante dieses Gens im Menschen hat man dann „human giant larvae“ genannt, also „menschliche Riesenlarven“. Das macht wenig Sinn, so lässt es sich aber wohl leichter merken. Über die Traditionen und Kuriositäten der Genbezeichnung werde ich an anderer Stelle nochmal schreiben.

Auf den Kontext kommt es an

Die an der Krebsentstehung beteiligten Gene können abhängig von ihrer Umgebung verschieden wirken, d.h. sie ihre Wirkung ist kontextabhängig. Daher ist es von Vorteil, verschiedene Modellsysteme zu haben. Statt isolierte Zellen in der Petrischale kann man bei Drosophila mit relativ geringem Aufwand Zellen in einem Gewebe bzw. Organ beobachten.

Zahlreiche Organe von Drosophila eignen sich als Modell, um Tumorentstehung zu modellieren, darunter:

  • Flügel und Augen, sowie ihre Vorläufer, die sogenannten „Imaginalscheiben“ in der Larve
  • Das Epithel der Embryonen (äußere Zellschicht)
  • Eikammern
  • Larvengehirne (mit Nervenstammzellen und Glaizellen)
  • Der Mitteldarm erwachsener Fliegen

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Jedes dieser Organe bietet unterschiedliche Umgebungen für die Tumorentwicklung.

Zukunft der Krebsforschung an Drosophila

In den letzen drei Jahrzehnten wurden zahlreiche Tumorsupressorgene und Onkogene beschrieben. Ihre teilweise verworrenen Signalwege wurden meist nicht in einzelnen Arten entschlüsselt, vielmehr ergänzen sich verschiedene Studien an Modelltieren, Zellkulturexperimenten und biochemische Studien. Mittlerweile werden auch Computermodelle immer wichtiger. Drosophila ist dabei ein wichtiger Mitspieler bei der Erforschung von Krebs.

Marla Tipping und Norbert Perrimon setzen sich dafür ein, mit neuen gentechnischen Methoden großangelegte systematische Studien durchzuführen (Artikel jetzt kostenlos verfügbar). Damit können Wissenschaftler weitere Tumorgene identifizieren, die abhängig von der Umgebung der Zellen wirken. Umfangreiche Studien, die alle Gene abdecken, sind mit Fliegen zu einem Bruchteil des Preises von Studien an Mäuse zu realisieren.

Die Kombination von neuen Techniken mit den großen Sammlungen von mutanten Fliegen sprechen für eine interessante Zukunft der Krebsforschung an Fliegen. Auch nach 100 Jahren Fliegengenetik gibt es wohl noch viel zu entdecken.

tl;dr

Why Drosophila? – Because Science.

Hier noch ein kleines Video zur Bedeutung von Drosophila für die Forschung:

Quellen: 

Beitrags-Titelbild (ganz oben):  © tomatito26 -Fotolia.com (Hintergrund verändert)

Kennzeichen der Krebsentwicklung:

Hanahan, Douglas, und Robert A. Weinberg. „Hallmarks of Cancer: The Next Generation“. Cell 144, Nr. 5 (4. März 2011): 646–74. doi:10.1016/j.cell.2011.02.013.

Menschliche Krankheitsgene in Drosophila:

Reiter, Lawrence T., Lorraine Potocki, Sam Chien, Michael Gribskov, und Ethan Bier. „A Systematic Analysis of Human Disease-Associated Gene Sequences In Drosophila melanogaster“. Genome Research 11, Nr. 6 (Juni 2001): 1114–25. doi:10.1101/gr.169101.

Beschreibung von lgl als Tumorsupressorgen:

Mechler, B M, W McGinnis, und W J Gehring. „Molecular cloning of lethal(2)giant larvae, a recessive oncogene of Drosophila melanogaster.“ The EMBO Journal 4, Nr. 6 (Juni 1985): 1551–57.

Drosophila Lethal Giant Larvae Mutant als Krebsmodell:

Froldi, F, M Ziosi, G Tomba, F Parisi, F Garoia, A Pession, und D Grifoni. „Drosophila Lethal Giant Larvae Neoplastic Mutant as a Genetic Tool for Cancer Modeling“. Current Genomics 9, Nr. 3 (Mai 2008): 147–54. doi:10.2174/138920208784340786.

Drosophila als Modell für kontextabhängige Tumorgenese:

TIPPING, MARLA, und NORBERT PERRIMON. „Drosophila as a Model for Context-Dependent Tumorigenesis“. Journal of cellular physiology 229, Nr. 1 (Januar 2014): 27–33. doi:10.1002/jcp.24427.

 

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