Modellorganismen
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Caenorhabditis elegans:
Vom Modelltier zum Computerwurm

Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans ist seit Jahrzehnten eines der Lieblingstiere der biologischen und biomedizinschen Forschung – ein Modellorganismus. Wird er womöglich das erste komplett simulierbare Tier?

Konzentriert betrachte ich eine große Anzahl von kleinen Würmchen, die sich in einer Petrischale auf einem Nährmedium tummeln. Mit gerade mal 1 mm Länge und nur rund 1000 Zellen wären diese Würmer leicht zu übersehen. Ich sitze daher vor einem Stereomikroskop, allein in einem dunklen Raum. Nur ein schwaches Leuchten einer speziellen Lampe gibt Licht.

Auf ihrem Weg hinterlassen die Würmer sinusförmige Spuren in einer Schicht von Bakterien. Die Bakterien wachsen auf dem Nährmedium und sind das Futter für die Würmer. Ein Mikrokosmos in zwei Dimensionen.

Meine Aufgabe ist es, grün fluoreszierende Würmer zu finden, denn sie tragen das gewünschte Protein, dass mit einem grün fluoreszierenden Protein (GFP) markiert wurde. Es soll uns die Position des markierten Proteins in den Zellen des Wurms verraten und damit Hinweise auf seine Funktion geben. Ich hebe die gewünschten Tiere von der Petrischale und lege sie in eine Petrischale mit frischen Bakterien. Als Werkzeug dafür benutze ich einen abgeflachten Platindraht, den ich in die Spitze eines Glasröhrchens eingeschmolzen habe.

C._elegans

Ein erwachsener C. elegans, bei dem ein DNA-bindendes Protein mit GFP markiert ist. Links ist der Kopf, in der Mitte sieht man hell leuchtende Eier. Bild: Dan Dickinson, Goldstein lab, UNC Chapel Hill http://wormcas9hr.weebly.com CC BY-SA 3.0

Die Szene liegt schon ein paar Jahre zurück, ich habe in meiner Zeit als studentische Hilfskraft und als Diplomand an Caenorhabditis elegans (C. elegans) gearbeitet. Was mich damals schon fasziniert hat, war der Gedanke, dass dieser auf den ersten Blick unscheinbare Wurm eines Tages komplett simuliert werden könnte. Nun scheint dieses Projekt in greifbarer Nähe.

Einfach und transparent

Zu den Vorteilen von C. elegans gehört seine Zugänglichkeit für Studentenprojekte – mit etwas Geschick ist das Handwerk der Wurmzucht schnell gelernt. Außerdem ist der Open Source-Gedanke in der Gemeinschaft der C. elegans-Forschenden sehr stark. Ein anderer großer Vorteil ist, dass er von Natur aus durchsichtig ist und damit ohne Präparation und lebend unter dem Mikroskop untersucht werden kann. Dazu muss er mit einer Nikotin-ähnlichen Substanz betäubt werden, damit er still hält.

Ein Projekt, an dem ich teilgenommen habe, war die Analyse des Nervensystems eines mutanten Wurmstammes. Dieser war „verhaltensauffällig“, er machte nämlich nicht die üblichen sinusförmigen Kurven, wenn er vorwärts kroch.

Die Frage war, ob er vielleicht einen Defekt in der Entwicklung des Nervensystems hatte. Um das zu untersuchen, haben wir einige Nervenzellen mit dem grün fluoreszierenden Protein markiert und ich habe Aufnahmen von Nervensystemen von „gesunden“ und „verhaltensauffälligen“ Würmern gemacht. Es gab dabei aber keine Auffälligkeiten.

C-elegans cholinergic neurons LX929

Ein Teil der Nervenzellen von C. elgegans wurde markiert und ist hier schwarz dargestellt. Die dickeren Punkte zeigen Zellkörper der Nervenzellen, dazwischen gibt es zahlreiche Verbindungen. Die Ansammlung links kann als „Gehirn“ bezeichnet werden. Bild: Christian Thiele

Liveübertragung aus der Zelle

Ein anderes Projekt war die Analyse von Zelltransportprozessen. Dazu ist ein Mikroskop mit sehr schneller Bildaufnahme nötig, ein sogenanntes „Spinning-Disc-Mikroskop“. Von den exakt 302 Nervenzellen von C. elegans eigneten sich nur die besonders großen für solche Beobachtungen.

Zelltransport in einer C. elegans CAN Nervenzelle

Transport von markierten Proteinen in einer Nervenzelle von C. elegans. Bilder: Christian Thiele

Der simulierte Wurm

Ein internationales Team von Wissenschaftlern und Programmierern ist derzeit dabei, eine Simulation von C. elegans zu entwickeln. Das Besondere: Eine Simulation auf Zellebene soll dabei das Verhalten des ganzen Wurmes liefern. Das simulierte Nervensystem kann bereits erfolgreich Roboter steuern.

Ganz im Sinne von Open Source stellt das „Open Worm Project“ alle seine Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung und sucht nach Mitstreitern. Eine Kickstarterkampagne brachte 120.000 US-Dollar für das Projekt. Mit seiner Offenheit und Transparenz ist dieses Projekt so etwas wie der Gegenentwurf zum „Human Brain Project“ der Europäischen Kommission, bei dem innerhalb von 10 Jahren 1,2 Milliarden Euro Forschungsgeld ausgegeben werden sollen, um das gesamte menschliche Gehirn zu simulieren. An der Machbarkeit dieses Vorhabens und der Transparenz der Vergabe des Geldes haben auch viele Forscher Zweifel.

Nach wie vor finde ich den Gedanken faszinierend, ein Lebewesen komplett zu simulieren. Ich finde den „von-unten-nach-oben-Ansatz“ logischer (man versucht erst mal das Einfache zu verstehen und baut seine Modelle darauf auf). Das könnte neue Impulse für künstliche Intelligenz liefern und der Biologie ganz neue Möglichkeiten liefern. Die Materialien auf der Seite des Open Worm Project werden ständig erweitert und neue Unterstützer sind willkommen.

Jeder kann helfen

Auch mit wenig Zeit und ohne Vorkenntnisse kann jeder, der sehen kann, den C. elegans – Forschern helfen. Auf der Seite Wormwatchlab.org (auch auf deutsch) kann man 30-Sekunden-Clips betrachten und beobachten, ob und wann die Würmer Eier legen. Ist auch zum Entspannen geeignet.

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